Jahresbericht 2009

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Für die Ukraine trifft das in besonderem Maße zu, habe ich Ihnen an dieser Stelle in den letzten Jahren doch immer über eine bevorstehende Wahl berichtet, sei es nun die Wahl des Parlaments oder eines neuen Präsidenten, die aktuell am 17. Januar 2010 ansteht. Während verschiedene Meinungsumfragen den beiden Spitzenkandidaten Viktor Janukowitsch und Julia Timoschenko teilweise deutlich unterschiedliche Werte voraussagen, sehen sie den Amtsinhaber Viktor Juschtschenko chancenlos bei unter 5 %.

Prof. Dr. Gerhard Simon vom Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn analysiert die Situation in der Ukraine fünf Jahre nach der „Orangenen Revolution“. Sein Fazit: Korruption und politische Stagnation dauern an. Der Prozess der Verfassungsgebung ist nach fast zwei Jahrzehnten bis heute nicht abgeschlossen. Die politischen Konflikte eskalieren regelmäßig, wiederholt kam es über Wochen und Monate zu einer weitgehenden Blockade des politischen Lebens. So waren beispielsweise in diesem Jahr über Monate die wichtigen Ämter des Außen-, Finanz- und Verteidigungsministers nicht besetzt. Nach über halbjähriger Vakanz wurde inzwischen im Oktober lediglich ein neuer Außenminister ernannt. Für das zweite Quartal 2009 nennt Prof. Simon eine Inflationsrate von 15%.
Wunder werden auch nach der Präsidentenwahl nicht zu erwarten sein.

Straßenbilder aus Beregszász

Bei unserem Besuch Anfang November in den Unterkarpaten war die Schweinegrippe „allgegenwärtig“. An der Grenze, in Geschäften, Banken, an Tankstellen und auf der Straße trafen wir zunehmend „maskierte“ Menschen mit Mundschutz. Schulen und Kindergärten blieben für drei Wochen geschlossen. In den Apotheken waren Vitamin C-Präparate ausverkauft, entsprechende Abteilungen in den Krankenhäusern überfüllt. Die Menschen klammerten sich an den kleinsten Strohhalm. So stiegen beispielsweise innerhalb einer Woche die Preise für Knoblauch auf dem Markt auf das Fünffache. Das Thema „Schweinegrippe“ wird auch politisch von den unterschiedlichen „Lagern“ für die bevorstehende Wahl ausgenutzt – auf dem Rücken der Menschen.

Lassen Sie mich nun nach diesen düsteren Bildern der Situation im Lande, die sich allerdings für die Menschen in ihren alltäglichen Sorgen und Problemen niederschlagen, Ihnen ein wenig darüber berichten, wie wir als Hilfsverein immer wieder kleine Hoffnungszeichen setzen dürfen, unerwartete wie auch dringend ersehnte Hilfe bringen und oft ein Leuchten in die vom Alltag gezeichneten Gesichter zaubern.

Hilfstransporte

Wie im Vorjahr konnten wir auch 2009 neun Hilfssendungen unterschiedlicher Größe auf die Reise in die Unterkarpaten schicken. Die Palette der Hilfsgüter reichte dabei von A wie Auto-Ersatzteile bis Z wie Zahnarzt-Bedarf. Ein absoluter Höhepunkt war dabei eine ganze LKW-Ladung von Erwachsenen-Windeln und Baby-Pflegeartikeln; ich berichtete darüber in unserer Halbjahres-Information.

Windelempfänger

Weihnachtspäckchenaktion

Gott sei Dank – wir werden auch 2009 wieder rund 4000 Kinder in den Unterkarpaten mit einem wunderschönen Weihnachtsgeschenk überraschen können. Leider setzt sich der Trend der letzten Jahre fort, immer später zu spenden. Wie im vergangenen Jahr hatten wir Anfang Dezember erst rund zwei Drittel der nötigen Spendensumme erreicht, um die Kinder wie im Vorjahr beschenken zu können.
Das erschwert natürlich die Aktion, denn schließlich müssen unsere Partner auch noch genügend Zeit zum Einkaufen und Zusammenstellen der Geschenke haben.
Trotzdem ist das ein tolles Ergebnis und wir staunen voller Dankbarkeit über die stetig wachsende Zahl von großen und kleinen „Helfern“. Dieser Tage sprach ich mit einer Rentnerin aus dem Vogtland. Schon seit einigen Jahren wollte sie eine Spende für unsere Weihnachtsaktion überweisen, aus verschiedenen Gründen kam es aber bisher nicht dazu. In diesem Jahr sollte es nicht wieder nur Absicht bleiben und so legte sie die Zeitung mit dem Spendenaufruf nicht weit weg, berichtete sie. Was für eine Freude spürte ich aus ihren Worten, als sie hörte, dass mit ihrer Spende fast 100 Kinder beschenkt würden. Ja, es stimmt tatsächlich: Freude, die man anderen macht, kehrt oft ins eigene Herz zurück!

Die beiden prominenten Unterstützer unserer Aktion „Weihnachtsfreude“ Gunther Emmerlich und Björn Kircheisen bekräftigten in diesem Jahr erneut ihre weitere Zusammenarbeit mit unserem Hilfsverein. Darüber freuen wir uns sehr.

Projekte und Unterstützungen

Manche Hilfe geschieht ganz unspektakulär und ohne große „Öffentlichkeit“. So finanzierten wir beispielsweise eine neue Batterie für einen Elektro-Rollstuhl. István Józan hatte als jung verheirateter Mann einen Badeunfall (er schlug bei einem Sprung unglücklich auf die Wasseroberfläche auf) und sitzt seitdem im Rollstuhl.
Drei junge Mädchen erhielten Beihilfen zur Finanzierung des Studiums bzw. ihrer Ausbildung.
Für Krisztina, ein behindertes Mädchen aus Vári, kauften wir einen Drucker für ihren Computer, der ebenfalls aus einem unserer Hilfstransporte stammt. Nicht nur ihre Eltern waren überrascht und erstaunt, als vor ein paar Jahren bekannt wurde, dass sich Krisztina das Schreiben selbst gelernt hatte. Seitdem schreibt sie mit viel Talent und großer Begeisterung Märchen für Kinder und kann sie mittels des neuen Druckers erstmals auch ausdrucken.

Im Juni berichtete ich Ihnen über den jungen Mann aus Beregszász, seine Vergangenheit als Straßenkind und seinen Weg heraus aus der Alkohol- und Lösungsmittelsucht. Er hat inzwischen in der Stadt eine Arbeit gefunden. Besonders freuen wir uns auch darüber, dass unsere Hilfen nach seinen Aussagen doch einen gewissen Erfolg zeigen.

Doch leider gibt es neben den vielen positiven Ergebnissen hin und wieder auch Trauriges zu berichten. Bei unserem Besuch im November in den Unterkarpaten mussten wir erfahren, dass der behinderte Sohn der Familie Gálfi aus Vári im Herbst überraschend gestorben ist. Wir hatten im Jahr 2006 für die Familie den Wasseranschluss ins Haus finanziert, gerade auch um die Versorgung des schwer behinderten Kindes spürbar zu verbessern.

Sicherlich werden Sie festgestellt haben, dass Unterstützungen für medizinische Behandlungen und Hilfen für Behinderte gegenwärtig einen Schwerpunkt unserer Arbeit darstellen.

 

 

Für die vierjährige Anna Balogh übernahmen wir die Diagnose- und Laborkosten in Kiew, in deren Ergebnis genetische Ursachen für Ihre Anfälle und bisher unklaren Krankheitssymptome ermittelt wurden. Nachdem eine angedachte Hilfsmöglichkeit sich leider als nicht realisierbar herausstellte, hat sich jetzt möglicherweise eine neue Behandlungsmöglichkeit für sie in den Unterkarpaten ergeben. Die Eltern der kleinen Anna haben zufällig aus der Zeitung von einer Therapeutin in Ungvár erfahren, die speziell solche behinderten Kinder behandelt. Sie erhielt ihre Ausbildung in Ungarn und hat dort auch mehrere Jahre gearbeitet. Dann „rief sie ihr Herz nach Hause zurück“, wie sie selbst sagt und tauschte den guten Arbeitsplatz mit geregeltem Einkommen gegen unsichere Verhältnisse und vergleichsweise minimale Bezahlung in der Ukraine. Nach Berichten der Eltern erlebten sie bei einem Gespräch zum ersten Mal, dass sich jemand für ihr behindertes Kind Zeit genommen und mit ihm beschäftigt hat. Vorher gab es Diagnose und „Behandlung“ immer nur vom Schreibtisch aus.

Gegenwärtig laufen Gespräche mit dieser Therapeutin über weitere Behandlungsmöglichkeiten, ggf. auch für andere Kinder. Das könnte dann vielleicht auch an einem zentralen Ort erfolgen und Vater Balogh müsste nicht zweimal pro Woche mit seinem über 30 Jahre alten, klapprigen Lada die rund 90 km nach Ungvár und zurück fahren. Gern beteiligen wir uns an den entsprechenden Kosten.

Das trifft auch auf einen weiteren Fall zu. Da hat eine Familie neben größeren Kindern auch zweijährige Zwillinge. Aus bisher unbekannten Gründen leidet der eine der beiden Jungs an einer Entwicklungs- und Wachstumsstörung, wiegt beispielsweise nur etwa die Hälfte von seinem Zwillingsbruder. Bewusstlos brachte der Vater seinen Sohn ins Krankenhaus. Sein Zustand wurde dort, von uns finanziert, erst einmal wieder stabilisiert. Weitere Untersuchungen sollen Aufschluss über die Ursachen geben. Eine Gen-Untersuchung erfolgte bereits, allerdings ist mit dem Ergebnis erst nach ca. drei Monaten zu rechnen! Wahrscheinlich in Ungarn soll eine Untersuchung auf Zöliakie erfolgen. Zöliakie ist eine Unverträglichkeit von Gluten, dem Klebereiweiß aus den üblichen Getreidesorten. Der enorme Wachstumsrückstand des Jungen könnte auch auf diese Krankheit hin deuten.

Und was macht József? Vielleicht warten Sie schon interessiert auf Neuigkeiten über ihn.
Gern berichten wir Ihnen darüber, denn es ist wirklich eine Freude, seine Entwicklung mitzuerleben. Seit September besucht er die Schule und lernt gut. Seine Lehrerin ist mit ihm zufrieden. Probleme hat er nur beim Schreiben. Er weiß zwar, wie die Buchstaben auszusehen haben, aber aufgrund seiner Krankheit „will“ seine Hand oft nicht so, wie er will und die Striche gehen über die Zeilen hinaus. Das macht ihn dann traurig.

József in der Schule / József bei den Hausaufgaben / József beim Mittagessen in der Schule


Bei schönem Wetter fährt er mit seinem „Fahrzeug“, eine Art dreirädriges Fahrrad. Im Winter wird ihn sein Vater mit dem alten Lada hin bringen. Die Eltern berichten, dass die Schule ihn auch weiter zum Laufen motiviert und seit September eine entsprechende Entwicklung sichtbar ist. Wie dankbar und glücklich sind sie, denn ohne die Hilfe aus Deutschland wäre das alles nicht möglich gewesen. Gerne geben wir diesen Dank an alle Spender weiter.
Ansonsten ist Jószef ein „ganz normaler“ Schüler. Er bedauert die Schließung der Schule wegen der Schweinegrippe nicht und erzählt auch freimütig davon, dass die Lehrerin mitunter auch mit den Kindern schimpft, mit ihm auch.
Zur Begrüßung überraschte uns József bei unserem Besuch im November übrigens mit den deutschen Worten „Guten Abend!“. Wir freuen uns und sind gespannt auf seine Entwicklung im kommenden Jahr. Wir werden darüber berichten.

All das ist nur möglich, weil Sie dazu beitragen und uns die nötigen Mittel immer wieder zum Weitergeben anvertrauen. Herzlichen Dank!

Für 2010 sind mehrere besondere Veranstaltungen des Hilfsvereins Unterkarpaten geplant. Wir werden Sie rechtzeitig über alle Einzelheiten informieren. Sie dürfen gespannt sein!

Wir danken Ihnen herzlich für all Ihre Unterstützung, für Ihr Interesse, Ihre Mitarbeit und Engagement, für Ihre Gebete und Ihre Spenden in diesem Jahr 2009.

Ohne Sie wäre alle Hilfe für die Menschen in den Unterkarpaten nicht möglich geworden. Und wenn es auch oft nur der berühmte „Tropfen auf den heißen Stein“ ist, so kann er für den Empfänger groß und wertvoll sein. Jeder Tropfen ist ein Zeichen der Liebe und der Hoffnung, ohne die unsere Welt verarmt und die uns jedoch innerlich ein ganzes Stück reicher machen können. Und jeder Tropfen ist ein Zeichen wider das Vergessen. Für uns ist es immer wieder eine Chance, Bescheidenheit zu lernen und Dankbarkeit zu praktizieren.

Herzlichen Dank, dass Sie den Menschen in den Unterkarpaten und unserem Hilfsverein so treu verbunden sind. Wir staunen darüber, dass Gott auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten immer wieder Menschenherzen bewegt und zum Helfen bereit macht.
Besonders dankbar sind wir für alle erlebte Bewahrung auf den Reisen im zu Ende gehenden Jahr 2009.

Auch 2010 können wir mit unserer Hilfe dazu beitragen, Menschen in den Unterkarpaten ihre Sorgen abzunehmen und Probleme zu erleichtern. Und wir geben Ihnen damit oft auch ein ganzes Stück neue Hoffnung. Dankbare Menschen und frohe, glückliche Gesichter – das lohnt sich!

Bekanntlich tragen viele Schultern manche Last leichter. Deshalb bitten wir Sie auch im neuen Jahr um Ihre Hilfe und Unterstützung. Behalten Sie die notleidenden Menschen in den Unterkarpaten in Ihrem Herzen.

Und bitte machen Sie die Arbeit und Projekte des Hilfsvereins Unterkarpaten auch unter Ihren Verwandten, in Ihrem Bekannten- und Freundeskreis, bei Ihren Arbeitskollegen und Mitschülern sowie in Gemeindekreisen und Vereinen bekannt. Wir freuen uns auf Ihre Ideen und Aktivitäten.