2022 - Jahresbericht

Situation

Lassen Sie mich heute mit einem herzlichen Dank beginnen, für alle Ihre Unterstützung, für Ihr Interesse und Ihre Nachfragen, für Ihre Mitarbeit und Engagement, für Ihre Gebete und Ihre großen und kleinen Spenden in diesem schweren Jahr 2022. Wir haben in den letzten Monaten so oft darüber gestaunt, wie Gott immer wieder Menschenherzen bewegt und zum Helfen bereit macht.
 
Nach Angaben des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge Filippo Grandi vom November sind bisher rund 14 Millionen Menschen aufgrund des Krieges aus ihrer Heimat in der Ukraine geflohen. Das ist jeder Dritte der knapp 42 Millionen Einwohner des Landes (Einwohnerzahl von April 2020).
Nach wie vor sind die Unterkarpaten von Kampfhandlungen und Raketenangriffen verschont geblieben und gehören deshalb mit zu den „ruhigsten“ Gebieten der Ukraine. Daraus resultiert auch die nahezu unverändert große Zahl an Binnenflüchtlingen. Auf die normalerweise eine Million Einwohner kommen 500.000 Flüchtlinge. Diese Zahlen sind Schätzwerte, denn es gibt ein ständiges Gehen, aber auch Zurückkommen. Das ist auch von den konkreten Situationen abhängig. Gerade in letzter Zeit heulen die Sirenen bei Luftalarm öfter und dazu kommen noch die oft sehr langen Stromabschaltungen. Doch dazu später mehr.

Binnenflüchtlinge aus der Ostukraine
Flüchtlinge in der Unterkunft

30 – 40% der reformierten Gemeindemitglieder haben die Ukraine inzwischen verlassen. Vor dem Krieg gehörten ca. 65.000 Menschen zur Reformierten Kirche der Unterkarpaten. Bischof Zán Fábián betont: „Gerade jetzt brauchen die Menschen die frohe Botschaft. Gerade jetzt braucht es die Kirchen – nicht nur, um für das tägliche Brot zu sorgen oder eine Zuflucht zu geben, nein, sie brauchen die frohe Botschaft, weil man ohne sie nicht weiterleben kann!“
Wie viele Menschen die Ukraine verlassen haben, wurde im September mit Beginn des neuen Schuljahres deutlich. „Im Kindergarten, den wir 2017 für 80 Kinder eröffnet haben, sind jetzt nur 30 Kinder,“ sagt der Bischof.
Überall machen sich die fehlenden Leute bemerkbar. Kürzlich rückte die kirchliche Freiwillige Feuerwehr von Vári zu einem Brand in einem Nachbardorf mit drei (!) Feuerwehrleuten aus. Manche Arbeit kann nicht getan werden, obwohl das Geld dafür da ist. Es fehlen die Leute. Und wenn man Arbeiter hat, sind sie oft nicht willens die Arbeit zu tun.

Seit Ausbruch des Krieges sind Produkte in der Ukraine um durchschnittlich 33% teurer geworden. Auch die Lebensmittelpreise in den Unterkarpaten sind in den letzten Monaten deutlich gestiegen.
In den Supermärkten gibt es immer weniger ukrainische Produkte, die zum Teil durch Importe aus Europa ersetzt wurden.
Die reformierte Kirche versucht, nach Möglichkeit die Armee, Kinderheime und Bedürftige in den eigenen Dörfern mit Lebensmitteln zu versorgen, hat aber so viele Nachfragen, dass sie nicht alle beliefern kann.
War es über sechs Monate möglich, mit der Eisenbahn Lebensmittel und andere dringend benötigte Güter kostenlos in die Kriegsgebiete im Osten des Landes zu schicken, müssen nun Fahrkarten für ein Abteil gekauft werden, um es dann mit Hilfsgütern voll zu schlichten.
Die Landwirtschaft in den Unterkarpaten hat noch kein so trockenes Jahr wie 2022 erlebt. Die Ertragsergebnisse sind buchstäblich miserabel. Während in den Regionen Ung und Bereg 2-3 Tonnen/ha Gerste, 3-5 Tonnen/ha Weizen und 2,5-3 Tonnen/ha Hafer geerntet wurden ist die Lage in der Region Theiß jedoch viel ernster. Fast halb so viel dieser Getreidearten wurden produziert wie in den erst genannten Gebieten. Viele Kleinbauern werden den Getreideanbau aufgrund mangelnder Rentabilität, Perspektivlosigkeit und unsicherer Wirtschaftslage aufgeben.

Bei der „Saat auf Hoffnung“ wurden im Frühjahr mit Unterstützung eines Landwirts aus Württemberg Saatkartoffeln in die Erde gebracht. Pfarrer Péter Szeghljánik hat die Aktion vor Ort begleitet. Im Herbst haben ukrainische Binnenflüchtlinge aus Mykolajew, Charkiw und Kramatorsk gemeinsam mit Ortsansässigen die Kartoffeln geerntet und geholfen, Wintervorräte anzulegen.

Kartoffelernte

Die Schlachtfelder im Osten der Ukraine sind zwar weit von den Unterkarpaten entfernt. Doch die Folgen des Krieges sind auch dort sicht- und spürbar, nicht zuletzt auf den Friedhöfen. „Wir haben immer öfter Beerdigungen von gefallenen Soldaten in unseren Gemeinden“, sagt Bischof Zán Fábián. Bisher wurden 500 Mitglieder der ungarischen Gemeinschaft an der Front und infolge von Kriegsaktivitäten verwundet oder getötet.
Alle Hilfen sind wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Kürzlich wurden 50 Rollstühle an ein Krankenhaus in der Nähe von Kiew geschickt. Als sich das Krankenhaus mit Dank zurückmeldete, sagten sie, dass sie eigentlich 500 Rollstühle bräuchten … So viele Leute haben ihre Beine verloren.

Pfarrer Szeghljánik mit einem „Traumaheft für Kinder“ vor der Poliklinik in Irpin
Übergabe der Rollstühle in Irpin

Problematisch war die Situation der reformierten ungarischen Schulen, die zum Schulbeginn am 1. September die vom Staat geforderten Schutzbunker nachweisen mussten. Sonst hätten sie nicht öffnen dürfen.

Beispiel eines Schutzbunkers, noch mit Licht, aber ohne Heizung

Ziel war es, das Schuljahr überall mit Präsenzunterricht beginnen zu können. Mit großer Hilfe aus Ungarn konnte das erreicht werden.
Das Gesetz sieht vor, dass der Unterschlupf maximal 500 Meter von der Einrichtung entfernt sein darf. Neben Bildungseinrichtungen müssen auch Altersheime und Kindergärten über solche Schutzräume verfügen, um sie betreiben zu können. Die Reformierte Kirche der Unterkarpaten hat ein Altersheim in Beregszász und auch dort wurden die notwendigen Schutzräume rechtzeitig fertig gestellt, um die Betriebserlaubnis nicht zu verlieren.
 
Seit ein paar Wochen stehen die Menschen in den Unterkarpaten vor neuen Problemen, den Stromabschaltungen und allen damit verbundenen Schwierigkeiten. Durch die fortwährenden Stromausfälle kommt es häufig zu Schäden an elektrischen Geräten, insbesondere wenn der Strom wieder zugeschalten wird, oder auch zu Bränden.

Bibelstunde im Kerzenlicht
Hochleistungsgenerator für das reformierte Gymnasium in Nagydobrony

Gottesdienste mit Hilfe von Generatoren und Bibelstunden im Kerzenlicht – so sieht das Gemeindeleben der Reformierten Kirche der Unterkarpaten aktuell aus. Oft haben wir bis zu 16 Stunden keinen Strom, wird aus dem Bischofsbüro berichtet. „Es ist nicht genug, dass wir keine Straßenbeleuchtung haben – auch die Häuser, Schulen, Geschäfte usw. sind ohne Licht. Wir konnten das Internet nur eingeschränkt nutzen und hatten keine Heizung. Und wir versuchen, unseren Kindern Mut zu machen, damit sie keine Angst in der Dunkelheit haben. Aber wir sind unserem gnädigen Gott sehr dankbar, dass unsere Region sicher ist und es keine Raketeneinschläge gibt. Wir hoffen, dass bald Frieden einkehrt und diese schreckliche Zeit ein Ende hat. Wir geben nicht auf.“
Die ungarische Küche kennt eigentlich keine Mahlzeit ohne Brot. Deshalb haben die Stromausfälle auch gravierende Auswirkungen in den Bäckereien, die ums Überleben kämpfen müssen. So passiert es nicht selten, dass mitten im Produktionsprozess der Strom ausfällt und eine ganze Ladung halbfertiges Brot „in die Tonne“ gekippt werden muss. Mehl ist auch teuer geworden und die Verluste sind enorm.
Bischof Zán Fábián berichtet, dass sie in seinem Dorf Vári momentan täglich für zwei Stunden mit einem Notstromaggregat die Wasserversorgung der an die Wasserleitung angeschlossenen Haushalte ermöglichen.
„Bitte betet für uns und betet besonders um Frieden in dieser Adventszeit!“ – so seine Bitte.

Hilfstransporte

Dankbar sind wir für die vier Transporte, die wir in diesem Jahr realisieren konnten und für alle Bewahrung auf den Reisen unserer Freunde aus der Ukraine.
Durch Vermittlung eines unserer Mitglieder konnten wir ca. 300 Hefte zur Traumabewältigung für Flüchtlingskinder in ukrainischer Sprache in die Unterkarpaten schicken.

Hefte zur Traumabewältigung für Kinder

Regelmäßig bringen Freunde des Vereins Hilfsgüter nach Barabás, einem kleinen Dorf unmittelbar an der ungarisch-ukrainischen Grenze.

Projekte und Unterstützungen

Seit Kriegsbeginn sammeln wir Spenden unter dem Kennwort „Krisenhilfe“ und unterstützen damit unsere Partner in den Unterkarpaten bei der Versorgung von Flüchtlingen sowie der Hilfe für kriegsbedingt in Not geratene Einwohner, die im Land bleiben wollen oder müssen.

Flüchtlingsjunge aus der Ostukraine

Aus allen Ecken Deutschlands haben uns in diesen Monaten große und kleine Spenden erreicht, von Einzelpersonen ebenso wie von Kirchgemeinden, von Vereinen, Schulen und Kindereinrichtungen. Dazu zählen auch Erlöse von Benefizkonzerten oder unserem hiesigen traditionellen Parkfest-Gottesdienst im Sommer. So kam bisher eine beachtlich große Summe zusammen, über die sich unsere Partner in den Unterkarpaten freuen und allen Spendern sehr dankbar sind.

Doch keiner weiß, wie lange der Krieg mit all seinen Folgen noch dauert. Niemand kann sagen, wie sich die Zahl der Flüchtlinge entwickeln wird, wie viele auch wieder in ihre Herkunftsorte zurück gehen.
 
Seit dem Sommer kommen auch immer wieder Gruppen von Kindern und Jugendlichen aus den Kriegsgebieten im Osten zu Freizeiten und Erholungsaufenthalten in die Karpaten, die von der Reformierten Kirche versorgt werden. Darunter waren bis November mehrere Durchgänge mit blinden und sehbehinderten jungen Leuten.

Jugendfreizeit in den Karpaten
blinde und sehschwache Kinder in den Karpaten

Unsere Hilfe wird also weiter dringend gebraucht, zumal die Reformierte Kirche in den letzten Monaten kaum mehr große Hilfstransporte aus dem Ausland erhielt.
Überweisungen dazu bitte mit dem Kennwort Krisenhilfe.

Verkauf verschiedener Leckereien durch Mitglieder der Landeskirchlichen Gemeinschaft Falkenstein auf dem dortigen „Bornkinnel-Markt“ für unsere Weihnachtsaktion. Bornkinnel ist eine regionale Bezeichnung für das Christkind.

25 Jahre Hilfsverein Unterkarpaten und 25. Aktion „Weihnachtsfreude“ – diesen beiden Jubiläen in diesem Jahr wurden und werden überschattet vom Krieg in der Ukraine.

Weihnachtsaktion 2021

Die Weihnachtspäckchenaktion in diesem Jahr ist eine „Gleichung mit vielen Unbekannten“. Aber trotz aller Widrigkeiten bekommen die Jungen und Mädchen wie in den vergangenen Jahren ihr Päckchen! Durch das Verlassen ihrer Heimat werden es jedoch deutlich weniger sein als noch im letzten Jahr.
 

Auch das Reha-Zentrum „Vergissmeinnicht“ in Vári musste in diesem Jahr mit „schwerem Fahrwasser“ kämpfen. Anfangs waren dort Flüchtlinge untergebracht. Und auch dort sind Mitarbeiter und behinderte Kinder mitsamt ihren Familien weggegangen. Das Zentrum versucht, Familien mit Lebensmittelpaketen zu helfen. Bei allen Schwierigkeiten gab es aber auch tolle Erlebnisse. So konnten die Kinder mit Unterstützung des Ungarischen Reformierten Wohltätigkeitsdienstes eine Sommerexkursionswoche mit verschiedenen Höhepunkten an den einzelnen Tagen erleben. Dazu gehörte der Besuch eines Dinoparks mit gesponserten Bussen und auch ein „Nachmittags“-Eis war inbegriffen. An einem anderen Tag ging es an einen Badesee oder ins Sportzentrum Mustang nach Beregszász, wo die Kinder die Geräte im Fitnessstudio ausprobieren konnten. Natürlich lernten sie auch die Pferde dort kennen. Das traditionelle Speckspießbraten oder Pizzabacken durften ebenfalls nicht fehlen. Diese Woche war für alle wirklich ein Erlebnis, aber solche Höhepunkte für die Gruppe motivieren neben den Kindern auch die Eltern und Therapeuten.

Weihnachtsgebäck aus dem Reha-Zentrum „Nefelejcs“

In letzter Zeit hatte sich die Arbeit dort weitgehend normalisiert, aber wird aktuell durch die Stromabschaltungen wieder sehr stark beeinträchtigt. Wenn Sie die Arbeit dort unterstützen wollen, verwenden Sie bitte das Kennwort: Behinderte

Zum Reformationsfest 2022: „Als reformierter Christ bin ich ein Befürworter des Dialogs und friedlicher Lösungen. Im Verlauf des Krieges ist die Ökumene uns noch einmal wichtiger geworden: Als reformierte Christen praktizierten wir bewusst Nächstenliebe gegenüber Menschen anderer Nationalitäten und Konfessionen, auch gegenüber denen, die uns vorher ablehnten. Im Gegenzug erfuhren wir Solidarität von anderen Kirchen. Auch das bedeutet für mich Reformation. Im Mittelpunkt dieses Jahres in unserer Kirche steht die Dankbarkeit. Wir wollen uns bewusst machen, wie Gott unser Leben erhält und uns in der Bedrohung des Krieges bewahrt. Das Gebet ist die größte Waffe eines Gläubigen gegen das Böse, und um Frieden zu bewahren. Unsere Bitte geht an den allmächtigen Vater, der sie nicht unbeantwortet lässt. Heute, während ich diese Gedanken niederschreibe, kann ich nicht mehr sagen, wie oft seit Februar das Sirenengeräusch zur Warnung vor Luftangriffen ertönt ist. Aber auch nach der Sirene, die wir heute Morgen gehört haben, sind wir noch am Leben, unsere Kirchengemeinden, die Pfarrerfamilien, unsere Kirchengebäude und Pfarrhäuser sind noch intakt, weil wir in Gottes Schutz waren und immer noch sind.“

Auch im neuen Jahr 2023 brauchen wir Sie und Ihre Hilfe und bitten sehr herzlich um Ihre Unterstützung. Es wäre schön, wenn die notleidenden Menschen in den Unterkarpaten Ihnen weiterhin Herzenssache sind.
Und bitte machen Sie die Arbeit und Projekte des Hilfsvereins Unterkarpaten auch unter Ihren Verwandten, in Ihrem Bekannten- und Freundeskreis, bei Ihren Arbeitskollegen und Mitschülern sowie in Gemeindekreisen und Vereinen bekannt.

Gern kommen wir auch in Ihre Gemeinde zu einem Vortrag über die Unterkarpaten und seine Menschen, das Leben der Christen dort und unsere Arbeit. Und wir berichten auch über die aktuelle Lage. Entsprechende Anfragen richten Sie bitte an den Geschäftsführer.

Bischof Sándor Zán Fábián und Pfarrer Péter Szeghljánik grüßen Sie sehr herzlich und danken für alle Gebete und die bisherige große Unterstützung!
Wir wünschen Ihnen, dass Sie trotz der angespannten Situation in Deutschland Liebe und Freude erleben und die Tiefe der Weihnachtsbotschaft persönlich erfahren dürfen. Gott segne Sie auch im neuen Jahr.

Gemeinsam mit den Menschen in der Ukraine hoffen wir auf ein friedliches Christfest.

„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ Wem geben wir Ehre? In diesen Tagen muss ich oft an diesen Vers aus der Bibel denken. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden …“ – Vielleicht erleben wir deswegen so wenig Frieden – zwischen den Völkern wie auch im zwischenmenschlichen Bereich – weil wir den ersten Teil des Verses zu oft außer Acht lassen?