2024 -Halbjahresbericht

Zur Lage im Land

Am 21. Mai lief die fünfjährige Amtszeit des ukrainischen Präsidenten Selenskyj ab, aber aufgrund des Kriegsrechts werden in der Ukraine keine Wahlen abgehalten. Ein kurzer Rückblick: Der Filmproduzent und Schauspieler Wolodymyr Selenskyj besiegte seinen Gegner Petro Poroschenko im Mai 2019 mit 73 Prozent der abgegebenen Stimmen. Er versprach damals Transparenz, ein Ende der allgegenwärtigen Korruption und Frieden in der Ostukraine.
„Damit unsere Helden nicht sterben, bin ich zu allem bereit. Ich habe keine Angst, unpopuläre Maßnahmen zu ergreifen, und ich bin bereit, meine eigene Popularität zu verlieren. Und wenn es nötig ist, werde ich bereit sein, die Präsidentschaft nur für den Frieden zu verlieren“, sagte Wolodymyr Selenskyj vor fünf Jahren.

Doch wie sieht es aktuell in der Ukraine politisch aus, und was beschäftigt die Menschen heute. Der versprochene Kampf gegen Korruption scheint ein Kampf gegen Windmühlenflügel zu sein. Immer wieder kommen Skandale ans Tageslicht, die bis in hohe Militärkreise und den Staatsapparat reichen. Kürzlich betraf es sogar einen Minister. Das scheint aber nur die Spitze eines gigantischen Eisberges zu sein. Wie man hört, lässt sich mit dem Krieg bis in unterste Bereiche „gutes Geld“ verdienen.
Seit Beginn des Jahres hat Selenskyj mit einer Neuordnung der Führung des Landes begonnen, nicht nur im Militär. Aber mittlerweile macht er sich wohl nach und nach unbeliebter bei der Bevölkerung. Das Vertrauen in den Präsidenten sinkt merklich.
Um das Militär weiter zu finanzieren, muss die Regierung die Steuern erhöhen. So soll die Militär- oder Kriegssteuer von 1,5 % auf 5 % des Einkommens erhöht werden. Auch eine Anhebung der Mehrwertsteuer von derzeit 20 % um 2 oder 3 % ist angedacht. Bei jedem Einkauf zahlen die Menschen in der Ukraine ohnehin schon jetzt Kriegssteuer.

Die Armut in der Ukraine ist nach Angaben der Weltbank in den letzten zwei Jahren um 19 % gestiegen, vor allem unter den etwa 9 Millionen Rentnern, Tendenz steigend. Die Ukraine gehört zu den Ländern mit einem hohen Durchschnittsalter, in dem fast 18 % der Bevölkerung 65 Jahre oder älter sind.

Laut der ukrainischen Ministerin für Sozialpolitik Oksana Zholnovych wird die Mehrheit der Ukrainer nach dem Krieg trotz Erreichen des Rentenalters nicht in Rente gehen können, weil es niemand geben wird, der mit seinen Beiträgen in die Rentenkassen einzahlt. Die arbeitende Bevölkerung im Land schrumpft rapide. Heute kommt auf jeden arbeitenden Ukrainer ein Rentner.
Im Zusammenhang mit einer in einem Brunnen gefundenen Frauenleiche in Vári wird berichtet, dass es im letzten Jahr eine steigende Zahl von Selbstmorden in den Unterkarpaten gegeben hat. Vor allem alte Leute, die allein im Haus zurückgeblieben sind, haben oft nicht das Nötigste zum Leben, sind einsam und verlieren die Hoffnung.
Auch abseits der Front gibt es eine steigende Zahl an Toten, die indirekt auf den Krieg zurückzuführen sind.
Das Kriegsgesetz von Anfang April hat die Bedingung gestrichen, dass Soldaten, die 36 Monate gedient haben, entlassen werden. Es bleibt also offen, wie lange ein Einberufener an der Front ausharren muss. Unzählige Soldaten sind bereits gefallen oder sind verwundet worden. Das und die Nachrichten von der Front, das Russland immer weiter vordringt, machen Männern wenig Mut, sich bei der Armee zu melden.
Eigentlich herrscht seit Kriegsbeginn ein Ausreiseverbot für Wehrpflichtige. Zehntausende von ihnen haben mit gefälschten Dokumenten versucht, ins Ausland zu gelangen. Nicht allen ist das gelungen. Für viele Männer kommt nur noch die Flucht aus der Ukraine infrage und das auf verzweifelte Art. Immer wieder wird über Männer berichtet, die versuchen, die Grenze in der kalten und wirbelnden Theiß oder im fast 2000 m hohen Maramaros-Gebirge ohne angemessene Ausrüstung zu überqueren. Den wenigsten gelingt es. Andere hätten Ärzte oder Beamte bestochen oder versuchten es, um nicht eingezogen zu werden.
Kürzlich gelang eine spektakuläre Flucht. Ein alter Lastwagen vom sowjetischen Typ GAZ 66 überquerte im Bereich Beregszász die grüne Grenze nach Ungarn. Er soll ein schwarzes Militärkennzeichen gehabt haben. Ungarische Grenzschutzbeamte nahmen 32 ukrainische Staatsbürger fest. Nach den gegenwärtig vorliegenden Informationen wurden diese (bisher) nicht an die Ukraine ausgeliefert.
György Dunda, Direktor einer Zeitung in den Unterkarpaten, sagte in einem Interview, dass die gesamte Ukraine von Kriegsmüdigkeit geprägt sei. Während zu Beginn des Krieges alle optimistisch waren, hofft heute das ganze Land auf ein Ende der Kämpfe und einen für sie möglichst günstigen Ausgang des Krieges.

Oleg Soskin, ehemaliger Berater des früheren ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma, drängte die ukrainische Regierung, bald Friedensverhandlungen mit Russland aufzunehmen, um den militärischen Konflikt zu beenden. „Andernfalls werden die Raketenangriffe weitergehen und erheblichen Schaden an der ukrainischen Wirtschaft und Infrastruktur anrichten.“ – meinte er. Das erleben wir fast täglich.

Eine Meinungserhebung in 12 europäischen Ländern im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament ergab, dass nur einer von 10 Europäern glaubt, dass die Ukraine in der Lage sein wird, den Krieg zu gewinnen und die Kontrolle über ihr gesamtes Territorium zurückzugewinnen. Fast 40 % glauben, dass der Krieg mit einem Kompromiss zwischen der Ukraine und Russland enden wird.

Derweil hat Präsident Selenskyj Mitte Mai ein Gesetz unterzeichnet, das die Mobilisierung bestimmter Gefangener ermöglicht, wenn sie sich freiwillig zum Dienst melden.
Weiterhin soll die allgemeine militärische Grundausbildung ersetzt werden durch eine Grundausbildung, die bereits in den Klassen 10 und 11, an Berufsschulen, Berufsbildungseinrichtungen und Hochschulen beginnt.

Ab Februar wurde an den westlichen Außengrenzen der Ukraine eine sogenannte „5 km-Zone“ eingerichtet. Jeder, der in diesem Bereich außerhalb geschlossener Ortschaften Arbeiten verrichten möchte, muss eine spezielle Grenzschutzgenehmigung vorweisen. So manches kommt mir aus der früheren DDR bekannt vor!

Bei der Ausreise aus der Ukraine müssen alle Männer die neue militärische Registrierung vorzeigen. Das gilt auch für Männer mit drei Kindern unter 18 Jahren, die (noch) ausreisen dürfen.

Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó hat sich am 29. Januar in Ungvár/Uschhorod mit dem Leiter des ukrainischen Präsidialamtes Andrij Jermak und Außenminister Dmytro Kuleba getroffen. Ziel des Dialogs war es, die Beziehungen zwischen beiden Ländern zu verbessern. Dabei betonte Szijjártó: „Wir fordern keine neuen Rechte für die Ungarn der Unterkarpaten. Die Ukraine soll die Rechte zurückgeben, die sie bereits vor 2015 hatten.“ Bis heute wurden jedoch keine nennenswerten Fortschritte in dieser Frage erzielt.
Ungarn hat ein Schreiben an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gerichtet, in dem es darauf aufmerksam macht, dass sich die Lage der ungarischen Minderheit in der Ukraine nicht verbessert hat und die zuvor von Ungarn in dieser Hinsicht geäußerten Forderungen noch nicht realisiert wurden. Interessant ist, dass aus Sicht der deutschen Regierung die Ukraine alle Voraussetzungen erfüllt, um die EU-Beitrittsverhandlungen eröffnen zu können. 

Die Reformierte Kirche in den Unterkarpaten erhält weiter Hilfe aus dem Ausland, wenn auch bei weitem nicht mehr in dem Umfang wie zu Beginn des Krieges. Besonders ist dabei der Ungarische Reformierte Hilfsdienst sowie die Stiftung „Te is segíthetsz“ (Du kannst auch helfen) zu nennen, die beispielsweise regelmäßig haltbare Lebensmittel und Hygieneartikel bringen, aber auch finanzielle Unterstützung für ältere und alleinlebende Menschen.

Hilfe für alte, allein lebende Menschen
belegtes Brötchen und Tee für hungrige Kinder

 Aus Deutschland gehören das Gustav-Adolf-Werk e. V. und unser Hilfsverein zu den Unterstützern. So haben beide unter Anderem zur Versorgung hungernder Kinder in mehreren Dörfern beigetragen.

Pfarrer Péter Szeghljánik hatte die Möglichkeit, im März auf der Frühjahrstagung der Württembergischen Landessynode in Stuttgart in einem Grußwort für die Unterstützung insbesondere durch das Gustav-Adolf-Werk in Württemberg zu danken und über die Situation in seiner Heimat zu berichten.
Er ist es auch, über den ein Großteil der Hilfen der Reformierten Kirche der Unterkarpaten für die Menschen in den Kriegsgebieten im Osten des Landes läuft. Oftmals fährt er selbst mit, um auch die ungarischen Soldaten aus den Unterkarpaten seelsorgerlich zu begleiten.

Pfarrer Szeghljánik auf der Württembergischen Landessynode
Weihnachtsgeschenke für Kinder in der Ostukraine

               

 

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Feuerwehrfahrzeuge von Dercen für Charkiw

Unterstützung erhalten neben den notleidenden Menschen auch Krankenhäuser und der Katastrophenschutz. So wurden über die kirchliche Freiwillige Feuerwehr in Dercen drei Feuerwehrfahrzeuge an den Landkreis Charkiw übergeben, die aus den Niederlanden und Ungarn gespendet wurden.
Vier voll ausgestattete Krankenwagen von den ungarischen Johannitern und Fahrzeuge zur Bergung Verwundeter für den Sanitätsdienst der Armee gehörten ebenso zur Liste der Hilfen der Reformierten Kirche wie Hilfsmittel für die
Rehabilitation verletzter Menschen und Soldaten.

Fazit:
Obwohl die Unterkarpaten vom Kriegsgeschehen bisher verschont geblieben sind, so sind doch die Auswirkungen des Krieges allgegenwärtig: wieder zunehmende Stromabschaltungen, hohe Preise in allen Bereichen, Straßenkontrollen überall, militärischer Druck auf die Menschen. Es gibt kaum einen Friedhof, auf dem nicht ukrainische Fahnen über Gräbern wehen.
Die Situation ist schon für Erwachsene nahezu unerträglich, wieviel mehr sind Kinder davon betroffen und traumatisiert. Sie gehen auf ihr drittes Kriegsweihnachten zu. Können sie sich überhaupt noch an unbeschwerte Kindertage erinnern?
Es gibt wohl kein Haus, das nicht in irgendeiner Form betroffen ist. Familien sind auseinandergerissen. Jungen und Mädchen haben Angst um ihre Väter und Brüder im Krieg oder müssen gar mit ihrem Verlust fertigwerden. Andere Familienangehörige sind ins Ausland geflüchtet, frühere Schulkameraden und Freunde oft weit weg. Nicht selten sind die Kinder bei ihren Großeltern in der Heimat geblieben.
Leider ist die Resonanz und Spendenbereitschaft der Menschen in Deutschland zurückgegangen.
Die Einfuhrbedingungen für Hilfsgüter in die Ukraine werden immer schlechter und auch der Druck auf die reformierte Kirche und ihre Pfarrer und Mitarbeiter hat deutlich zugenommen. Trotz weniger gewordener Mitarbeiter wird versucht, das kirchliche und das Gemeindeleben weitestgehend beizubehalten.

Bischof und Feuerwehrmann Sándor Zán Fábián

Der Bischof der Reformierten Kirche der Unterkarpaten Sándor Zán Fábián ist auch Feuerwehrmann der kirchlichen Freiwilligen Feuerwehr in seinem Heimatort Vári.
Er berichtet:
„Meine erste Rettungsaktion war während der Überschwemmungen 1998. Damals ereignete sich in unserem Dorf eine große Katastrophe – mehr als 1000 Menschen wurden obdachlos. Nachts fuhr ich in ein Nachbardorf, bat um ein Boot und am Morgen fuhr ich damit los, um Menschen von den Bäumen und zerstörten Häusern zu holen.
2018 gründete ich nach dem Vorbild in der Gemeinde Dercen die Feuerwehr in Vári. Der Bedarf dafür war groß, denn die nächste Feuerwehr befand sich 16 km entfernt im Kreiszentrum. Zu dieser Zeit waren die Straßen sehr schlecht. Wir brauchten 40 Minuten, um nach Beregszász zu kommen. Jetzt haben wir Freiwillige aus Vári – darunter der Dorfvorsteher, Pfarrer, Traktorfahrer, Klempner und Landwirte.
Wir haben schon viele Leben gerettet. Im benachbarten Dorf Borzsova gab es zwei Fälle, in denen Häuser in Brand gerieten.
In einem Fall rauchte ein betrunkener Mann im Bett, in dem anderen gab es auch menschliches Versagen – der Elektroofen wurde angelassen, brennbares Material wurde darauf gelegt und das fing Feuer. Leider sind wir immer wieder mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert, wenn es darum geht, Menschen zu helfen.
Auf dem Weg zum Einsatzort können wir oft nicht an Autofahrern vorbei, und während des Brandes selbst geht das Wasser aus dem Tank schnell zur Neige.
Bis heute ist das größte Problem, dass es in den Dörfern nicht genügend Hydranten gibt. Wir haben also ein Notizbuch im Auto mit den Telefonnummern der Leute, wo wir Wasser holen können. Ohne geht es nicht.
Trotz allem bin ich dankbar, dass wir die Möglichkeit haben, zu helfen, dort zu sein, wo wir gebraucht werden.“

 

Sporttag im Behindertenheim Nefelejcs

Im Juni waren die Jungen und Mädchen der Élim-Tagespflege, der Partnereinrichtung aus Hetyen, zu Gast beim Sporttag im Behindertenheim Nefelejcs (Vergissmeinnicht) in Vári. Gemeinsam konnten sie einen unvergesslichen Tag bei Geschicklichkeits- und Bewegungsspielen verbringen.

Sporttag im Behindertenheim Nefelejcs

Projekte und Unterstützungen

Die Reformierte Kirche der Unterkarpaten möchte ein Andachtsbuch eines ungarischen reformierten Pfarrers in Ukrainisch herausgeben. Einerseits ist es für die Flüchtlinge in den Unterkarpaten gedacht, andererseits ist aber auch Bedarf aus dem Osten der Ukraine, insbesondere aus dem Raum Charkiw und Odessa signalisiert worden.
Die Übersetzung ins Ukrainische liegt bereits vor. Bischof Zán Fábián bittet uns um finanzielle Unterstützung.
Überweisungen für diesen Verwendungszweck bitte mit dem Kennwort: „Bücher“

Wir sammeln weiterhin Spenden unter dem Kennwort: „Krisenhilfe“ und unterstützen damit unsere Partner in den Unterkarpaten bei der Hilfe für kriegsbedingt in Not geratene Menschen – und die gibt es genug!
Überweisungen dazu bitte mit dem Kennwort: Krisenhilfe“.

„Das Jahr 2024 wird unser Jahr der Erneuerung sein, wenn wir Jesus begegnen“, sagt Sándor Zán Fábián, Bischof der Reformierten Kirche der Unterkarpaten.
„Das Jahr 2023 liegt als Jahr der Hoffnung hinter uns. Gott war uns gnädig, und neben vielen Schwierigkeiten haben wir auch viele Segnungen erfahren.
„Dies nehme ich zu Herzen, darum hoffe ich noch: Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.“

Ein Gebet am Reformierten Gymnasium von Péterfalva schließt mit den Worten:
„Beten ist das Mindeste, aber auch das Meiste, was wir tun können… Lasst uns beten!“

Bischof Sándor Zán Fábián und Pfarrer Péter Szeghljánik grüßen sehr, sehr herzlich und danken für alle Gebete und die bisherige Unterstützung! Für heute grüßen wir Sie herzlich aus Lengenfeld und wünschen Ihnen eine schöne und erholsame Sommerzeit. Bleiben Sie Gott befohlen!